Wahrhafte und Merckwürdige Begebenheiten der .... Maria Francisca de Voëwina

Wahrhafte und Merckwürdige Begebenheiten der ... Maria Francisca de Voëwina

(1737)

(6: C5r-D4v)

Kommentar

Nachdem ich nunmehro meine glückliche Sclaverey in dieser 7 Gebirgichten Stadt / deren Beschreibung ich / wegen ihrer Weltbekanten Situation und Beschaffenheit billig als etwas überflüßiges übergehe / nach 3 Jahren und 3 Monden in welchen ich über 3 000 Menschen an der Pest und andern diversen Kranckheiten curiret / mithin das Glück hatte / daß wegen der stetigen innerlichen Unruhen ich damahls mit dem Mahomethischen Gesetz=Buch nicht gequälet ward / nachdem sage ich nunmehro meine wunderns würdige Sclaverey in Constantinopel zu Ende gieng / traten wir in das Schiff der Sultan Ibrahim, und seegelten mit einem Nord=Ost=Winde am 23 Martij 1689 ab : wir hatten aber kaum das Meer Marmorea erreichet / als mich ein Anstoß von der ordinairen See=Kranckheit befiel / welche ich alsobald mit einem Schluck besonders zubereiteten aquavitæ dämpffete / und meinen beyden Vettern auch allen Christlichen Sclaven 20 an der Zahl / ob sie wohl denen Hunden gleich ja noch ärger gehalten wurden / davon zu trincken gab / so / daß keiner davon erkranckte. Darüber meine Freunde sich nicht wenig vergnügt bezeigten.

[C5v] Den 24 dieses seegelten wir am Munde der Dardanellen die beyden Städte Gallipolis und Lampsacus vorbey und musten der 25 dito zu Sesto und Abido wie gewöhnlich / unsern Paß von dem Kaimakan aus Constantinopel durch unsern Schiffs Patron mit einem Booth dahin ausweisen.

Am 28 desselben anckerten wir des Morgens an der Insul Scio, alwo meine Vettern einige Gewerbe auszurichten / und der Schiffman einige Wahren einzunehmen hatten. Wir speiseten auf diesem Eylande und ließ ich mir den herrlichen Wein daselbst wohlschmecken / welchen mit auch meine Führer ob sie ihn gleich als Türcken nicht kosteten / gern darreichen liessen.

Am Abend lichteten wir bey fortwehrenden gutem Winde unsere Ancker und seegelten ohn eine Insul oder Stadt ferner zu berühren / gerades Weges durch das Meer von Scio nach Rhodis / welche wir den 3 April ins Gesicht bekamen / und bey Sonnen Untergang unsere Ancker an derselben fallen liessen. Den folgenden Morgen begaben wir uns alle drey mit so viel Mohren=Sclaven in diese herrliche feste und wohlgebauete Stadt / deren Häuser von lauter Quader=Steinen auffgeführet seyn und das oben in der Stadt liegende Schloß mit gewaltigen Wällen / Pasteyen und Mauren befestigter ist.

Wir hielten uns zwar un dieser Stadt 3 Tage lang auf / in welchem der Schiffmann allerhand Wahren an Wein und Früchten nebst frischem Wasser einnahm / womit sich alle Alexandrien=Fahrer unterwehs allhier versehen müssen.

<C6r> Allein weil ich des Aga Gemahlin im Schloß so am Nieren=Stein hart danieder lag in ihrer Kranckheit beystund / auch ihr meine Artzeney=Mittel dawider reichete / und wir stets von ihr tractiret wurden / konte ich die in dieser vortrefflichen Stadt befindliche Merckwürdigkeiten nicht in Augenschein nehmen / sondern giengen den 7 dieses Monahts unter Seegel / passirten den 8 Candia vorüber und erreichten nach stets anhaltenden vortheilhafften Kühlung den 12 darauf in ziemlichen Vergnügen die Küste von Alexandria. Wir liessen zwischen denen 2 Castelen unsere Ancker sincken / und wurden / von dem damahligen Stadthalter oder Saniaco mit einem Geleite von 20 Janitscharen und Spahi bey der grossen höltzernen Brücke nahe am Zoll=Hause / weil wir ihm unsere Ankunfft wissen liessen / empfangen / hernach in sein nicht ferne vom Meer stehendes Hauß zwey Geschoß hoch geführet / und verharreten bey ihm 3 Tage lang wegen seiner tödlich darnieder liegenden Frauen / welche ich seit der Zeit ausser Gefahr des Todes setzete / ungeachtet meine Vettern ein Schreiben von ihrem Vater daselbst vorfanden / üm sich in Alexandria wegen der bösen Lufft nicht zu verweilen.

Den 13 hab ich mich durch das Meer=Thor in die Stadt begeben / üm mich ein wenig darin ümzusehen.

Selbige wird in 2 Theile getheilet / als in Alt= und Neu=Alexandria, und ist der Nil=Strohm vermittelst eines grossen Canals duch andere kleinere Canäle in die Stadt geleitet. Meine beyden Vettern [C6v] nebst dem Ober=Stadthalter begleiteten mich mit ihrer Suite überall vielleicht aus Furcht / ich möchte mich etwan heimlich zu dem Frantzösischen oder Italienischen Consul verfügen.

Ich traff verschieden in Schut und Steingruß liegende Häuser noch an / welche wie sie vorgaben vor 70 nunmehro aber bey nahe 100 Jahren die See=Räuber aus der Barbarey verstöhret hatten / welche aber die Türcken wieder auffzubauen eben in Begriff waren.

Sonst schien mir diese Stadt welche wegen ihrer Handelung berühmt genug ist / in Ansehen ihrer lustigen Gegend sehr anmuthig / ausgenommen wie sie mir berichtet / die Lufft nicht vom besten seyn soll.

Das merckwürdigste so ich damahls behalten / war der erhabene Platz zwischen 3 hohen und dicken Porphir=Seulen gegen Mitternacht / unfern der Rinckmauer / welche Alexander der Grosse noch soll erbauet haben / worauff die heilige Catharma ihres Christlichen Glaubens wegen enthauptet seyn soll. Welches mir eine starcke Anreitzung zur Bestänigkeit gewesen.

Wir ritten auff unsern Eseln und Pferden biß zu der Pompejus Seule durch das Pfeffer Thor zum Dattel Wald hinaus / und als wir uns mit Spatzierreiten genugsam divertiret / kehreten wir gegen abend wieder in unsere Herberge / veranstalteten bestmöglichst gegen den morgenden Tag alles zu unser ferneren Reise nach Cairo ; welche wir den 16 dito früh um 7 Uhr zu Wasser antraten.

<C7r> Unsere Bagage ward in einige a parte Fahrzeuge geladen / und zwey Stunden vor uns her den Canal hinauff biß zum Nil=Strohm geführet ; allwo des Bassen von Cairo Schiff unser wartete.

Nachdem wir nun wegen der Freundschafftlichen Bewirthung mit gebührendem Danck von dem uns bis dahin begleiteten Stadthalter Abschied genommen / giengen wir mit gutem Nord=West unter Seegel / liessen den Strudel des Nil Stroms glücklich vorbey / und gelangten unter günstigem Winde den 20 dito an das Westliche Ufer der Nilus bey dem Flecken Lesbrechi, zwischen Groß=Cairo und Bulack so am Ostlichen Ufer der Nils gelegen / alle gesund an.

Wobey ich nicht umhin kan zu sagen / daß ich nicht ohne grosse Verwunderung angesehen / daß dieser so hoch berühmte Strohm von allen Wasserwogen und Wellen frey / und jederzeit auch bey starckem Winde still und sanfft daher fließt ; den Strudel ausgenommen.

Allhier nun in dem Flecken funden wir Kameele und Esel / welche seit gestern auff Befehl des Bassa zu unserm Dienst gewartet hatten.

Von diesem Flecken erzehlte man mir / daß er zur Zeit des Nili Ergiessung gantz unter Wasser stehe ; welches ich auch hernach selber gesehen.

Weil wir nun eben zu Mittage ankamen / hatten wir Zeit genung unsere Bagage auff die Last=Thiere zu laden üm solche zur Stelle zu bringen. So bald das Volck hiermit fertig war / setzten mich meine Vettern auff ein Kameel / sich aber auff Pferde / nahmen mich in die mitte / und ritten wir also nach dem [C7v] Schloß / welches sich von ferne vor allen andern Häusern wegen sienr Höhe und Pracht sehr hervor thut / zu / und zwischen einer Parade von Janitscharen und Spahi Abends um 6 Uhr in dasselbige ein.

Der Bassa nebst seiner Gemahlin und Töchtern welche auff Türckisch gezieret / an statt die zugleich gegenwärtige Frauens=Persohnen einen sehr hohen schönen seidenen spitzigen Huth einer halben Fusses hoch mit Gold und Edelgesteinen besetzt / nebst einem damit ausstaffierten Stirnband und guldenen Ringen und Spangen an Hälsen / Armen und Beinen trugen / und wie obgedacht von meiner Ankunfft Nachricht hatten / empfiengen mich sehr liebreich und tractirten mich übrigens als ihre Glaubens=Genoßin.

Der Muht entsanck mir auf keinerley Weise / und ließ mir ihren Willen in allem belieben. Sie praesentirten mir nebst unterschiedlichen Speisen auch zu meiner Wahl vier unterschiedliche Geträncke / einen Nahmens Sorbet, welcher sehr gesund ist / den andern von Limonien=Safft und Zucker / den dritten von Coffee, welcher um Cairo herum auff den Baum Bon genandt und dem Pfaffen=Huhte ähnlich wächset / auch wie ich hernach gesehen / in viel 1 000 Wirths=Häusern daselbst verkauffet ward. Der vierdte war ein so genandter Wein aus Pflaumen und Rosinen mit Wasser an der Sonnen Wohl gekocht.

Ich ward oben in eines mit den an diesem Orth sehr künst= und herrlich gewirckten Tapeten ausgeziertes Zimmer einlogiret ; von welchen ich über die gantze weitläufftige Stadt Cairo so ich weit grösser / als Constantinopel und Londen befanden / ja über <C8r> gantz Egyptenland hinaus sehen kunte : Allermassen dieses Schloß / welches dem hohen Steinbruch=Berg gegen über liegt / aufff einem erhabenen Ohrt und Steinrost von uhralten Zeiten her als ein Sitz und Residentz der vorigen Mammeluckischen Könige gebauet / dessen äusserliches Ansehen und Magnificentz dem Käyserlichen Seraglio in Constantinopel weit vorzuziehen ist. An Grösse gleicht es einer Stadt vom Umfange einer guten halben teutschen Meile. Die Thoren / Thüren und Fenster desselben sind von aussen mit Christall / Corallen und Perlemutter sehr künstlich und herrlich ausgezieret : Auch ist es von einer starcken Mauer mit vielen dicken Türmen von Quader=Steinen und Werckstücken umgeben.

Inwendig derselben Mauer an dem Schloß des Bassa, welches ins Gevierdte von Qvader=Steinen auffgeführet / und vor sich im Eingange einen grossen viereckigen Platz hat / stehen der Janitscharen und Spahi Häuser.

Gleichwie nun mein Vetter der alte Bassa Voëwina ein sehr curieuser Herr war / brachte er nebst seiner Gemahlin und Kindern mehr / als diese halbe Nacht hin / um meine fatalität erzehlen zu hören ; und schiene nicht geringes Vergnügen zu empfinden / als er vernam / daß ich in der Medicin erfahren / und nebst dem Käyserlichen Hoff viel tausend Krancke in Constantinopel, davon der dasige Kaimakan ihm durch ein Schreiben zuverlässige notitz gegeben hatte / zu ihrer Gesundheit verholffen.

<C8v> Am Morgen zeigeten sie mir die hin und wieder in denen Gemächern sich befindende Röhren / wodurch das Wasser welches mittelst eines grossen Canals aus dem Nil=Strohm durch Hülffe 2 grosser Räder / über viele hohe gemauerte Schwieb=Bogen in dieselbige geleitet / nach Willen und Wohlgefallen springet / und daraus geschöpffet wird.

Dieses Wasser habe ich aus Uhrsach / daß der Nilus keinen sandigten / sondern schlammigten Grund hegt / sehr ungesund befunden / und dannenhero allerdings geurtheilet / daß seines unordentlichen Gebrauchs wegen die C[?airer?] [d]er so vieler Schwach= und Kranckheiten unter[worff]en sind ; so aber gleichwohl wann man es zu f[ord]erst sich wohl setzen und mit getriebenen Mandel[n] sich præcipitiren läst / hinwieder gesund und wohlschmeckend wird.

Hiernechst führete man mich auch zu ihren Bade=Zimmern / und beschieden mir gleichfals eines zu meinem Gebrauch ; dessen ich mich zwar wenig / und nicht so offt bedienete / als meine Freunde sich der ihrigen : angemerckt die Türcken / absonderlich die Weibes=Persohnen sich des badens fleißig bedienen / hier aber in Cairo wegen der grossen Hitze mehr als an einen Orth gebräuchlich.

Nach diesen wurde ich in verschiedene Müntz= und Kunst=Kammern geführet ; darunter ich viel kostbahre Dinge aus denen uhralten unterirdischen Egyptischen Hölen und Begräbnissen / auch was sonst die heimliche Natur in dem Lande seltenes hervor bringt / in Augenschein nam / als von tausenden nur einer rohten Schlange zu gedencken : Diese war [D1r] dem Purpur gleich mit zwey Hörnern / welche wie Gold schimmerten / dessen Materie aber gleich wohl nicht determiniret werden konte: so die alten Egyptier vor heilig gehalten / heutiges Tages aber deren in gantz Egypten=Land wenig mehr anzutreffen seyn.

Nach etlichen Tagen als ich alles / was sehens und merckwürdiges in meines Vettern Schloß betrachtet hatte / ließ er mich auff einem Kameel reitende in der Stadt durch einige Mohren und 4 Janitscharen herum führen.

Diese Tour ging Mittagwerts und vor der Christen Begräbniß vorüber / auf einen grossen Platz voller Kameele / Esel / Maulthiere und Pferde / so daselbst zu kauffe waren / biß an die überaus grosse und hohe in Qvadrat gebauete Kirche ohne Dach mit sehr hohen Fenstern / und schönen meßingenem Gegitter eines Armsdick von aussen versehen : Auff einen jeden Eck derselben stunden 4 hohe Thürme / so als ein Wunderwerck anzusehen waren. Von dannert zogen wir über den Rüstmarckt / allwo Bogen / Pfeile und allerhand Gewehr feil war. Ferner durch die lange und weite Gasse / in welcher nichts als Seiden / Leinen und Wollen=Zeug von Juden und Egyptiern in den Laden zu kauffe lagen. So dann ducrch die lange Schuster und Schneider auch andere Gassen / wo allerhand Handwercker /doch jedes Handwerck besonders / wie in Constantinopel , bey einander in kleinen Häusern wie durchgehends in Cairo gebräuchlich / von gedorrten Leimen zusammen gesetzet / wohnen; in welche Häuserlein man wegen ihrer niedrigen Thüren daran ein höltzernes Schloß sitzet / gantz [D1v] gebückt eingehen muß. An denen Oertern aber wo die Canäle befindlich / in welche das Wasser zur Zeit des auffgeschwollenen Nilus, wann die Sonne in den Krebs tritt / sich versammlet / ist das Fundament der Häuser Mannes hoch von Steinen den ruin zu vermeiden / auffgeführet. Womit ich diesen Tag meinen Spatzier=Rit endigte / und mich wieder durch andere kleine und lange Gassen / welche wie die vorigen alte angepflastert enge und wegen der Kühlung oben fast bedeckt waren / wieder nach Hause verfügte ; nahe aber beym Schloß begegneten mir ein paar Diener zu Pferde / welche mich wegen einer meinem Vetter zugestossenen Unpäßlichkeit eiligst zurück beruffen solten.

Wie ich bey ihm eintrat / lag dieser fette Herr in einem Paroxismo vom Schlage / weshalb ich eiligst bemühet war ihn die von dem Himmel mir verliehene Kunst sehen zu lassen / bath derowegen seinen gegenwärtigen Egyptischen Leib=Medicum ihn nebst andern Gehülffen auffzurichten / und applicirte ihm mein Arcanum , dadurch derselbe dergestalt sich erquickt befand / daß er den Mittag darauff mit uns zur Tafel liegen / und nach seiner vorigen Gesundheit speisen kunte.

Mit dem benandten Egyptischen Medico genant Ahalu als einem guten Astrologo unterhielt ich mich damahls ein paar Stunden im discours, welcher mir als ein alter erfahrner Practicus die Naturen der Egyptischen Nation, samt ihren Speisen / Kranckheiten / Lebens=Arthen / und denen zu ihren unterworffen seyenden Kranckheiten im schwange gehenden Mitteln gründlicher relation abstattete.

[D2r] Ihre meisten Speisen sprach er / bestünden in Garten und Feld=Früchten / als Kohl / Bohnen / Feigen / Erbsen / Linsen / Melochie / Melde / Bammie / Datteln u.d.gl.vom Fleisch genössen sie wenig / ausgenommen sparsamer Weise Hammelfleisch / mit welcher Brühe sie dann den Reiß kocheten ; bedienten sich dagegen mehrmals der im Nilus befindlichen Fische / als Hechte / Groß=Köpffe / u.d. m. welche aber ihrer Fettigkeit ungeachtet dennoch des schlammigten Grunds wegen nicht für recht gesund gehalten werden könten. Von diesen Speisen deren sie gemeiniglich mit einem zufrieden wären / genossen sie täglich zu vier unterschiedenen mahlen ein wenig / und ässen sich nimmer sattt ; wodurch sie sich mit Hülffe der basigen gesunden Lufft so von keinem Qualm oder Dampff des Nil=Wassers / (als welches davon gantz befreyet / ) inficiret wurde / ein hohes Alter gemeiniglich von 90 biß 100 Jahren zu wege brächten / zu welchen die Europeer daselbst nicht gelangen könten um ihres vielfältigen Fleischessens und Weintrinckens willen / als wovon die natürliche Wärme und Feuchtigkeit durch das übermäßige Blut gar zu starck vermehret / und das Lebens=Licht vor der Zeit ausgelöschet wurde ; dagegen seine Nation solches durch ihre mäßiges essen und Wassertrincken / als wovon kein überflüßiges Geblüht mittelst der Leber bereitet werden könte / ihre Lebens=Flamme mit mäßigen aber nicht überflüßigem Oehl unterhielten.

Nichts destoweniger finden sich doch daselbst sehr viele fette Leute / absonderlich unter denen Frauens=Bildern / daran die Egyptier grosses Gefallen trügen. [D2v] Wegen der übermäßigen Armen Leute aber / die aus Unvermögen das sonst süsse und wegen seiner Leichtigkeit und Dünne überaus gesunde Nil=Wasser so trübe hin trüncken und ihre Speisen von Ochsen und Kameel=Fleisch / wie auch eingesaltzenen Crocodilen wegen Mangel des Holtzes / auch gedorrten Vieh=Mistes / womit allhier gewöhnlich das Feuer unterhalten wurde / ungar und unflätig geniessen müsten / regierten fort für fort allerhand epidemische Kranckheiten / so bey andern Völckern nicht so gemein und häuffig / als Krätze / Aussatz / trieffende Augen / Nieren=Stein / Schwindsucht / böse Fieber / Haupt=Kranckheiten / u.d.gl. wieder welche ihre gewöhnliche remedia nichts mehr verfingen / und daher eine unzehliche Menge Volcks desfals jährlich müste in den Sand beissen : Zu welchen gewöhnlichen Seuchen zum öfftern aus Griechenland / Syrien und der Barbarey die Pest hinzustiesse ; davon aber keine stärcker als die aus der Barbarey wichtete / welche sich selten an 4 oder 500 000 hingeraffte Menschen begnügen liesse : davon zwar ihrer viel noch sonder Zweiffel befreyet blieben wären / wann die durchpestete Kleider nicht von andern gefunden angezogen würden ; weil sie ihrem Glauben gemäß urtheileten / daß sie ihr gesetztes Lebens=Ziel weder zu verkürtzen noch zu verlängern vermöchten. Wegen des über die massen staubichten Erdreichs / wovon die Leute so überflüssig schwitzeten / musten sie sich / absonderlich die Frauen / nebst dem häuffigen einbalsamiren ihrer heimlichen und andern Glieder um so viel öffters / als in Natolien und Constantinopel geschehe / des Bades in ihren [D3r] Häusern bedienen / welche alle oben mitten auff den breiten Dächern ein Loch hatten / wodurch eine Röhre um der frischen Lufft willen biß an die mit Nilus=Wasser angefüllte Cisternen oder Brunnen hinab giengen. Durch dieses vielfältige Baden aber in dem kalten Nil=Wasser / und dann wegen der übermaßigen Wollust wurden die sonst von Natur hitzigen Leiber der Stadt und Land=Leute eben wohl gar zu sehr erkältet und entkräfftet : welches alles miteinander grosse und unstreitige Ursachen wären / der so häuffigen Kranckheiten und Todes=Fälle. Wider welche ihre sonst in der Artzeney daselbst vor Alters her hochgestiegene Kunst kein Mittel mehr vorzuschiessen wuste. Daneben gestand er mir offenhertzig / daß er der meinem Vetter zugestossenen Leibes=Hinfälligkeit nicht so plötzlich entgegen zu gehen und solche zu heben capable gewesen / alse er es wohl von mir persönlich gesehen hatte. Weswegen er mich nachmahl um von mir gleichfals zu profitiren / aller seiner Erfahrenheit in der edlen Medicin theilhafftig und mit andern seiner Gattung mehr bekandt machte : mit welchen ich mich das gantze Jahr hindurch / als lange ich mich in dieser weitläufftigen und in 4 grossen Städten bestehenden Handel=Stadt auffhalten muste / zum öfftern mit angenehmen und nützlichen Gesprächen unterhalten / so daß ich diese angenehme Gesellschafft so bald nicht verlassen hätten / wann ich nicht wie bald folgen wird / den Faden dieses freundlichen Umganges mit List abschneiden müssen.

Nach diesem bey meinem sonst liebreichen Vetter erlangten credit, fiel das Vertrauen andere vorneh= [D3v] men Türcken und Egypter beyderley Geschlechts in ihren Leibes=Fällen auff mich / so daß ich in einer paar Monden=Frist alle Hände voll mit gebrechlichen Persohnen zu thun bekam / welche mich jederzeit mit einer Gvarde von 4 Janitscharen und etlichen Verschnittenen geleitet / in ihre mit herrlichen Tapeten ausstaffierten Häusern auf einem Maulthier reitende holen liessen / so / daß / wegen der vielen in Alt= und Neu=Cairo, liegenden preßhafften Persohnen bey ihnen nicht nur ich / sondern auch meine salve gvarde nach eingenommener Tafel und Erfrischung verschiedene Nächte nicht daheim war. Dannenhero ich der Religion halber eine Zeitlang guten Frieden hatte / bevor / als mir von dem Bassa Voëwina das grosse in Neu=Cairo gelegene und mit vielen Krancken angefüllete Lazareth, welches ausser denen bey den Türcken üblichen Allmosen / welches mehr als hundert tausend Krohnen jährliche revenüen hat / anvertrauet worden. Selbtes konte ich gleichwohl wenig und mehrentheils nur im vorbeypassiren besuchen / anerwogen die Menge anderer vornehmen Patienten derer 4 Städte / als Bulach / Charaffa / Alt= und Neu= Cairo, nebst so vieler ihrer grossen Vor=Städte meiner Gegenwart auch bedürfftig ; welche ich dennoch ohnmöglich alle wegen ihrer Entlegenheit wöchentlich besuchen konte / sondern ihnen nur Artzneyen / (zu welcher præparation ob sie gleich nicht in vielen Apothecken=Büchsen / auff welche leyder unsere Europæische Medicin sich gründen muß / sondern nur aus wenigen bestand / auch Zeit erfordert wurde ) überbringen ließ.

[D4r] Hierzu wurden mir 12 gute verschnittene Läuffer von dem Commendanten zu Diensten beygeordnet.

Durch diese meine weitläuffige Praxin ist mir diese in so grosser Ferne sich erstreckende Stadt mit allen ihren Einwohnern als Türcken / welche die Ehren=Aempter alle besitzen / Juden / deren wenigstens über eine halbe Million seyn sollen / und mehrentheils fette Weibes=Persohnen haben / Egyptier und Araber / so unter Zelten wohnen / Coptische Christen / samt verschiedenen Europæischen Völckern ; diese sage ich / sind mir / nebst den Stadt=Mauren und Wällen mit der Burg und sonst daselbst sich befindenden Merckwürdigkeiten / Kräutern und Thieren in und ausserhalb des Nils bekant genug worden. Z.E. deren man das Mosch=Kraut mit seinem Saamen Abel Mosch / welcher nach Moschus riechet / damit die Araber den Morgenlandischen Mostes den sie doch häuffig genung haben / verfälschen ; aus welchen Kraut ich bewehrte Mittel wider verschiedene weilbliche Zufälle und andern Gebrechen / wie nicht weniger aus denen Blättern und Schoten des Tamarinden Baums (die sich accurat gleich der Akazia, Abrus, Absus und Sesban zu wenden / und mit ihrem Untergange auch verschliessen) wieder die bösen Fieber / Erhitzung der Leber und Nieren / ingleichen aus denen üm Cairo wachsenden Weyden / Kalef benamset / derer Wasser wieder alle faule Schaden und zur Erlustigung der melancholischen Hertzen dienete : wie dann auch aus denen Zibeth=Katzen verschiedene Arcana von denen Egyptischen Medicis erlernete.

Was ich aber sonst an curiositæten / Wunder= [D4v] Gebäuden / derer gegen Morgen über den Nil=Strom stehenden uhralten Pyramiden Gräber / Kirchhöfen derer Egyptier / Türcken und dergleichen / allwo sie des Freytages ihre Todten zu beweinen pflegen / Moscheen derer über 20 000 allhier zu finden / ist vor dieser Raumes=Enge zu viel ; weil mein Zweck nicht ist eine vollständige Reise=Beschreibung und Nachricht aller notablen Dinge dieses Landes und Orthes / auch was mir vor sonderbahre Begebenheiten fürgekommen / vor diesesmahl an den Tag zu geben / so ich mir jedoch ehe ich sterbe ins Werck zu stellen vorgenommen habe.

The URL for this document is "http://www.emerysnyder.org/projects/v/vtext_6.html"

Ausgabe und Kommentar © 2003-06 Emery Snyder (Stand 8. August 2004)