Wahrhafte und Merckwürdige Begebenheiten der .... Maria Francisca de Voëwina

Wahrhafte und Merckwürdige Begebenheiten der ... Maria Francisca de Voëwina

(1737)

(5: B8r-C5r)

Kommentar

Im nechstfolgenden Jahre 1688 brennete das unter denen erbärmliche Holtz und Steinhaufen der zerstöhreten Häuser / Gewölber und Krahm=Läden hin und wieder noch glimmend verzehrende Rebellions=Feuer wieder lichter Lohe / gestalt die aus Janitscharen / Spahi und Schiffs=Soldaten bestehende aufrührische Rotte einem fond wissen wolte / woraus sie ihres steten Goldes in Zukunfft versichert leben konte ; wannenhero sie mit unabläßigen Trotz auf jedes Türcken und Christen=Kopf ohn unterschied einen Ducathen und auf den Rauchfang so viel als einen teutschen Gulden von dem <B8v> Groß=Vizir Chiaus Bassa gesetzt wissen wolte; der es ihr bey so verwirrten Sachen nicht abschlagen dorffen.

Jedoch weil solche grosse Schatzung dem ohne dies gantz ausgezogenen nackenden Volck unmöglich zu erlegen war / warf sich ein Schneider mit einem memorial diesfals vor den Groß=Türcken nieder ; welcher nach überlesung dessen Inhalts den Groß Vizir darüber zur rede stellete : ob solche Auflagen vor diesen auch geschehen wären? Dieser anwortete nein! und entschuldigte sich wie billig / bestens mit der Aufrührer trotzigen Begehren / dem er nicht Wiederstand zu thun vermocht.

Hieraf annullirte Soliman Krafft seiner Käyserlichen Hoheit dem rebellischen Geist zu Trotz die unerhörte taxation zu des in Elend schmachtenden Volckes Trost.

Dieses muste der Groß=Vizir mit seinem Kopf entgelten / sintemahl die wüthende Furien mit aller Macht in sein Seraglio eindrungen / ihm das Reichs=Siegel durch den Mufti abforderten / und auf der hinter Stiege / wo er sich zu salviren vermeinte / mit einem Pistohl erschossen / auch seinen Leichnam nackend hingeworffen.

Gleiche Tragœdie spieleten sie mit seiner Gemahlin / so seine Schwester zweer Groß=Vizir und des Kaimakans oder Stadthalters in Constantinopel war / hieben ihr um desto geschwinder die Armbänder zu bekommen / die Arme ab / und schlepten sie nackend und tod auff die Gasse. Die älteste seiner Töchter hatte gleichmäßiges traurige [C1r] Schicksahl / nachdem sie ihr vorher um der Ohrhänge wegen die Ohren zerrissen hatten. Die jüngste aber verkaufften sie alle beyde als Sclavinnen vor 6 Rthlr.

Als ihnen nun auch die behertzten Officiers nicht mehr wiedersprechen dorfften / ging vollends alles krauß durch einander. Dabey ein neues Unheil sich hervor that / indem des ermordeten Groß=Vizirs Seraglio Feurer ergriff / und aine grosse Feuers=Brunst entstand. Wobey dieses zu mercken / daß vermöge eines alten Gesetzes derjenige Hauß=Herr dey dem das Feuer auskömt / ohne Gnade gehencket / und seiner Nachlässigkeit wegen in Wahrnehmung des Feuers also bestraffet wird : Gestalt fast alle Häuser von Holtz gebauet seyn / und selten ein Brand entstehet / da nicht das gantze Viertheil in Aschen geleget werde.

Gleichwie aber aus einem schlechten und schwachen Dinge öffters grosse Zerrüttung in einem Staat enstehet / also verhindert auch mannichmahl ein unansehnlich Werck den gäntzlichen Fall desselben / wie allhie dazumahl geschahe / als man kein Mittel mehr wuste dem gäntzlichen ruin der Stadt vorzukommen. Es plünderte nemlich 4 Janitscharen einen Kramladen aus / welches des Kramer einem fürüber gehenden Emir des Geschlechts vom Mahometh mit einem grünen Turband bitterlich klagte / welcher aus Mitleiden durch andere Nachbarn dieser Freveler zwey todtschlagen ließ.

Weil nun das gantze Quartier darüber in Haynisch gebracht ward / ergriff der Emir 2 Ellen etwa von einem Stück rothen Tuchs / band es an eine Stange / überlaut ruffen : Ein jeder redlicher [C1v] Muselmann solte ihm nach des Käysers Seraglio folgen / ihn zu bitten / des Mahomeths Fahne zur Vermehrung ihrer Hertzhafftigkeit wider die Rebellen ausstecken zu lassen. Worauff ihm alles Volck so die Fahne von ferne sahen nachfolgete. Der Sultan stutzte anfänglich / als er aber ihr Anbringen vernam / daß sie bereit wären ihr Blut vor ihm auffzusetzen / und die Rebellen auszurotten / willigte er in ihrem Gesuch ; ließ ihrs Propheten Fahne um den Mittag ausstecken / und solches in der gantzen Stadt ausruffen.

Als nun alles Volck ihrem Gesetz nach herzu eilete / und die Plätze des Serails davon angefüllet waren / rief ein Emir oder Priester von einer Kiosqve, das ist einem erhabenen Cabinet dreymahl: Seyd ihr mit eurem Käyser Soliman zu frieden? Das Volck antwortete eben so offt: Es lebe Sultan Soliman und sterben alle Rebellen. Flugs gab Soliman dem der Ernst des Volcks wohl gefiel / Befehl / sich der Rebellen entweder todt oder lebendig zu bemeistern : mit was Getümmel und Hertzhafftigkeit die Auffrührer auffgesuchet und verfolget wurden / ist kaum mit Gedancken zu erreichen.

Weil sich aber dieselben wehrend dieser Auffkauffs mehrentheils unsichtbar und aus dem Staube gemacht oder verkrochen hatten / erschlugen sie in drey Tagen kaum über 5000.

Der neu=erwählte Groß=Vizir Ismael, zuvor ein Vizir von der Banck / das ist von derjenigen Banck / auff welche der Groß=Vizir im Divan sitzet / welcher [C2r] ein 70jähriger sehr schauer Mann war / verlängerte dem Volck noch 10 Tage die Verfolgung / in welchen ncoh viele böse Buben samt den Schätzen herfür geschleppet wurden ; 300 Köpffe ließ er auch auff verschiedene Plätze der Stadt auff Pfählen stecken / drey Cörper von den Hunden zerfressen und sonst hin und wieder im Reich denen Enflüchteten nachstellen / erdrosseln / oder lebendig in Säcken gebunden in das Meer werffen. Bey welchem Tumult viele Christen=Sclaven glücklich entkommen seyn / so mir aber wegen tausenderley Verhindernisse und der augenscheinlichen Lebens=Gefahr nicht gelingen wolte ; vorab da gleich am ersten Verfolgungs=Tage gegen 10 Uhr morgends etliche Janitscharensich sich mein Hauß zu plündern unternommen / und zu dem Ende bereits die Thüre mit Aerten einzuschlagen angefangen hatten / als sie eben den Emir zu meinem GLück mit der Fahne von rothen Tuch nebst der Menge Volcks erblicket / und sich eingebildet / daß es des Mahomeths Fahne sey / der jederman / welcher nicht vor einen Ungläubigen wil gehalten seyn / folgen muß. Daher sie unverzüglich diese Halsbrechende Arbeit eingestellet / und die Flucht ergriffen. Derhalben ich mich dem geheimen Verhängniß gleich einen Felsen in dem ungestümen Meere gäntzlich überlassen.

Nach erfolgter innerlichen Ruhe ward ich zu der Käyserlichen Frau Mutter nach Hofe entbohten. Diese war vom Schwindel incommodirt, davon ich Sie bald wieder erlösete / und so dann / eine derer Jungfrauen von besonderer schönen Bildung / welche der neue Kaimakan Cuprogli dem Käyser zuge= [C2v] bracht hatte / und noch unter der Auffsicht der Hoffmeisterin / an der Brust=Seuche in 8 Tagen curirte.

Gedachte Hofmeisterin oder Radan Kahia muß die junge Jungfrauen in der Hof=Conduite unterweisen ; deswegen sie auch den geringsten Fehler an ihnen tadelt / und wann sie dann dem Käyser gefällig zu seyn capables, nennet man die / so ihm den ersten Printz zur Welt gebracht / Hasaca Sultana.

Vorhinerwehnte alte Sultanin beschenckte mich mit einem kostbahren Gewand und Verheissung / die bisher noch nicht erfolgte jährliche pension auszuwircken / jedoch das binnen 5 Monden meine Religion Veränderung gewiß erfolgen müßte.

Je weniger mir die erste Proposition gefiel / desto grösseren Wiederwillen hatte ich vor die letzere mich entschliessende / imfall ich nicht entfliehen konte / den Christlichen Glauben mit Verlust des Lebens bey erheischender Noht zu bekennen.

Zwar klagte ich dem damahligen Frantzösischen Gesandten bey der Pforte Monsr. Girardin mein Anliegen / als er eben verschiedene Sclaven von dem Groß=Vizier Ismael erledigte. Allein / weil er nur vor eine gewisse Anzahl intercedirte / und vernommen in was estime ich bey Hofe wäre / achtete er zur Zeit es noch nicht rathsam sich für meine Befreyung auszulegen / sondern vertröstete mich auff eine andere Zeit / aber doch gewiß vor besagten termin der Freyheit geniessen.

Zu dieser Zeit schaffte man den alten Geld=dürftigen Groß=Vizier offtgedachten Ismael von Hofe / und nam ihm seinen gantzen wenig Monaht sich [C3r] gesammleten Schatz. Mustapha Bassa ein tapfferer Soldat kam an seine Stelle / demselben curirte ich eine noch offene Wunde / die er bey der Belagerung Ofen empfangen hatte.

Ob er mich nun gleich mit 100 Arabischen Ducaten honorirte / versetzte er mir doch dagegen / wiewohl wieder seine Intention einen Streich / daß mir das Hertz darüber bluhete. Die Sache verhält sich dieser massen :

Das greuliche Unkraut / welches der Geist der Uneinigkeit einige Jahr in die Hertzen der Soldaten eingestreuet hatte / war durch die schreckliche Persecution noch nicht mit der Wurtzel ausgerottet ; wannerhero die Spahi und Janitscharen unter ihrem Ober=Haupte der Hassaca Sultana oder Sultanin Hasseck der IVten Mahomeths Gemahlin / so ihm den ersten Printzen Mustapha gebohren hatte / eine grosse Conspiration wieder den neuen Käyser / um ihn von dem Thron herunter / und gedachten Printzen Mustapha an seine statt hinauff zusetzen / angestifftet hatten. Zu welchem Beginnen sie den 3ten als den letzten Tag des Festes Bairam oder Türckischen Ostern beraumet hatten.

Am 1sten Tage ging der Sultan nach altem Herkommen im Geleite der Groß=Viziers und derer vornehsten Vizirs des Divans und Serails seiner Andacht halber in die St. Sophien Kirche. Den andern Tag ging er mit dergleichen Suite in die Mosqvee von Tophaja. Den dritten Tag aber in die Mosquee von Youb. Beym Herausgehen aus diesen Tempel was beschlossen den Groß=Vizier nie= [C3v] derzuhauen / den Sultan in sein voriges Gefängniß zu stürtzen und den Printzen Mustapha zu erheben.

Von diesem blutigem Geheimniß bekam der Groß=Vizier erst am dritten Oster=Tage Wind. Worauff er der Gewohnheit nach die Soldaten auff viele Schüffeln mit Reiß invitirete / so sie trotzig abschlugen. Dawieder brauchte er gleichwol allen Glimpff und versprach bey Ankunfft des Egyptischen Tributs sie alle in ihrem Begehren zu befriedigen / sie anbey zur Einigkeit nachdrücklich vermahnende : Darüber dann ihrer etlichen das Gewissen erwachte / daß sie ihm die gantze Verrähterey nebst denen Häuptern auffdeckten.

Als diese auff sein Begehren herbey kamen/ kündigte er ihnen zwar den Tod / aber auch wieder Pardon an / und relegirte sie nach Trapezunt, Scutari und anders wohin. Verfügte sich so fort mit 800 getreuen Leuten an den Ort der Conspiranten und machte sie alle nieder.

Biß hieher hatte ich mit allem Bedacht mein Türckisches Geschlecht verschwiegen und geheim gehalten / damit man nicht um so viel mehr mich zu meiner Vor=Eltern Aberglauben zwingen und martern möchte.

Mein Stand ward aber folgender Weise entdecket. Es begab sich / daß eines reichen Türckischen Kauffmanns Christliche Sclavin aus Palermo in Sicilien bürtig / in eine tödtliche Kranckheit verfiel ; weil nun vorgedachter Türck ihrer natürlichen Anmuht wegen und daß er sie vielleicht theuer zu verkauffen vermeinte / ihrer Genesung halber besorget war / gerieth sie in meine Cur.

[C4r] Dieweil wir nun uns mit einander in Türckischer Sprache ziemlich zur Noht expliciren konten / ließ ich mir einsmahls / da sie aus desperation Mammeluckische Gedancken in ihrem Busen hegte / und ich sie heimlich zur Beständigkeit der Treue an GOtt encouragirte / ein Wörtlein von meiner Herkunfft entfallen / und daß ich GOtt hertzlich für mein Christenthum danckte / auch nimmer an meiner Vor=Eltern Irrthum als mit Abscheu zurück dencken würde / mit Bitte / vor solche meine an ihr erzeigte Wohlthaten es bey ihr sterben zu lassen / so sie mir auch heilig versprach.

Allein sothane hernach gewordene Mammeluckin hielt keine Farbe / entdeckte er ihrem Herrn / welcher gleich an dem Sclaven Marck(t) wohnend seinem Nachbarn Bassa er bald hernach wieder eröffnet hatte / durch welchem sich dieser Ruff gleich einem plötzlich daher rauschenden und alles überschwemmenden gewaltigen Strohm in gantz Constantinopel und folgich im Seraglio ausbreitete.

Aldiewiel eben zu dieser Zeit der Bassa von Cairo etliche tausend Beutel Geld bestehend aus 600 0000 Reichsthaler durch eine vornehme deputation worunter sein ältister Sohn sich befand / an den Groß=Türcken übersand hatte / und man aich dem Türckischen Diario völlige Gewißheit meiner Eltern halber erhalten ; Daneben sich befand / was massen obernanter Bassa aus Cairo meines Vaters Bruder / nahmentlich Ibrahim Bassa Voëwina, ein 70 jähriger Mann wäre / brachte er gemeldter meines Vatern Bruder Sohn bey dem Groß=Vizir dahin / daß er [C4v] mich als seine nahe Bluts=Verwandtin mit ihm nach Cairo zurück kehren und daselbst der Mahometischen Herde / davon ich abgeirret seye / wieder zuführen möchte.

Alle meine angewandte Klugheit dieses dessein zu Wasser zu machen und zu echappiren / war gleich einer null ohne beygesetzter Ziffer; gestalt sich dieser alcoranische Vetter bis zu seiner Abreise in meinem bisherigen mir zugeordneten und geraumen Hause einquartirte / und mich bey Gefunden und Krancken überall begleitete: Nam mich auch meistentheils bey allen seinen Verrichtungen / wann er z.E. nackende Sclaven und Sclavinnen einkauffete / weil er noch nie in dieser Stadt gewesen / und also Fremde war / mit sich. Gieng er in einer Mosqvee, musten jederzeit 2 seiner treuen Mohren auff mich acht haben. Kurtz / diese Freund=Vetterliche Alcoranische Liebes=Sclaverey trug ich / weil ichs nicht ändern konte / in Constantinopel über 7 Monden lang willig.

Alldieweil der Cairische Bassa in Antwort auff seines Sohnes meinentwegen abgelassenes Schreiben Befehl ertheilet / mich mit nach Egypten hinüber zu bringen und so lang uns annoch zu verweilen / bis der andere jüngere Bruder Ismael im folgenden April mit dem Käyserlichen Tribut anlangen würde; alsdenn wir mit einander die Rückreise antreten solten.

Ich sahe zur Genügen / daß mich das Schicksahl zu einer avanturiere haben wollte; deswegen ließ ich mir das Gehirn mit nichts trübe machen / bevoraus man mich mit dem Alcoran nicht schreckte / son= [C5r] dern war nur mit fröhlichem Sinn begierig zu erfahren / wie solches auf die letzt es mit mir Karthen würde.

Erwehnter Tribut ward demnach von meinem andern Vetter den 5 Martii wohl überbracht und an das Seraglio gelieffert / nach einem 14 tägigen Auffenthalt aber ward der Termin unserer Abreise bestimmet / und angesetzet.

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Ausgabe und Kommentar © 2003-06 Emery Snyder (Stand 2. Jan. 2006)